Fotografie in den Bahnhöfen Mannheim und Heidelberg

Vom 18. Februar bis 22. Juni 2022 werden anlässlich der Biennale für aktuelle Fotografie im Hauptbahnhof Mannheim und im Hauptbahnhof Heidelberg Werke von drei Biennale-Künstler*innen großflächig installiert. In Mannheim werden Ausschnitte der Serie Tools for Conviviality von Anna Ehrenstein präsentiert. In Heidelberg verwandeln Bilder der Serie Secret Sarayaku von Misha Vallejo Prut und des Projekts Footprints in the Valley von Eline Benjaminsen den Heidelberger Bahnhof in eine temporäre Galerie.

Anna Ehrenstein, Tools for Conviviality, 2018-2020

Die Fotografie zeigt einen Ausschnitt des Mannheimer Hauptbahnhofs mit drei digitalen Collagen aus der Serie Tools for Conviviality. Die Collage in der Mitte zeigt das Portrait von Awa, die in einer selbstbewussten Pose auf einer gelben Coca-Cola-Kiste sitzt. Links und rechts von ihr sind weitere bunte Collagen mit verschiedenen sich wiederholenden Mustern zu sehen

Anna Ehrenstein, aus der Serie Tools for Conviviality, 2018-2020 | Foto: © Lys Y. Seng

In dem Projekt Tools for Conviviality („Werkzeuge für Geselligkeit“) untersucht die Künstlerin Anna Ehrenstein Möglichkeiten, Werkzeuge und Technologien, die Menschen im globalen Maßstab zusammenbringen. Sie ist nach Dakar, der Hauptstadt des Senegals, gereist und dort in einen kreativen Austauschprozess mit Menschen aus den Bereichen Mode und Design getreten. Auf deren Arbeit war sie zuvor online aufmerksam geworden.

Kooperation mit Kreativen
Sowohl digital als auch vor Ort, etwa auf dem Stoffmarkt von Dakar, hat sie über einen längeren Zeitraum mit Mandé Mory Bah und Thibault Houssou, die das Modelabel und die Second-Hand-Modeplattform Donkafele betreiben, mit Nyamwathi Gichau, einer Yogalehrerin, mit Lydia Likibi, einer Handtaschendesignerin, mit Awa Seck, die ein Kopfschmucklabel führt, und mit Saliou Ba, u. a. Übersetzer und Airbnb-Gastgeber, zusammengearbeitet. Aus dieser Kooperation sind u. a. digitale Collagen – wie sie am Hauptbahnhof Mannheim zu sehen sind – entstanden. Einige davon hat etwa das Modekollektiv Donkafele wiederum für Prints auf T-Shirts und Taschen verwendet.

Potenziale des Internets
Der kreative Austauschprozess zwischen der Künstlerin und ihren Mitstreiter*innen, die u. a. aus Benin, Guinea, Gambia, der Republik Kongo und Kenia in den Senegal migriert sind, reflektiert somit selbst die Wechselbeziehungen zwischen physischen und digitalen Räumen: zum Beispiel die Potenziale, die das Internet für eine globale Zusammenarbeit birgt. Visuell besonders auffällig an den digitalen Collagen ist ihre knallig bunte Photoshop-Ästhetik. Die teilweise surreal anmutenden Szenen, wenn etwa ein Mann vor einem Pool-Hintergrund lässig durch einen Bitcoin-Regen surft, stellen die Fotografie als vermeintlich neutrales Dokumentationsmedium in Frage. Mit derartig bewusst gestalteten visuellen Störeffekten möchten Anna Ehrenstein und ihre Kolleg*innen deutlich machen, dass es den neutralen Blick von außen nicht gibt. Sie regen zum Nachdenken über stereotype Darstellungen und ihre mediale Repräsentation an.

In eine ähnlich futuristisch surreale Welt führt auch das 360Grad-Video, das ebenfalls aus der Zusammenarbeit entstanden ist. Wenn Sie das Video mit der YouTube-App aufrufen, können Sie es in 360Grad-Ansicht erleben.

Für ein wertschätzendes Miteinander
Das über dem Haupteingang des Mannheimer Hauptbahnhofs angebrachte Werk fasst die Projektidee der Künstlerin und ihrer Kolleg*innen zusammen. Die Aufschrift „The Tools for a just society. Conviviality against Leitkultur“ bedeutet so viel wie „Werkzeuge für eine gerechte Gesellschaft“. Sie ist ein Aufruf für Geselligkeit als ‚Werkzeug‘ für ein wertschätzendes Miteinander und einen gleichberechtigten, wechselseitigen Austausch der Kulturen.

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Die Installation ist Teil der Biennale für aktuelle Fotografie 2022. Unter dem Titel From Where I Stand hat die Kuratorin Iris Sikking fotografische Positionen von 40 internationalen Fotograf*innen und -kollektiven ausgewählt, die sich zwischen Kunst, Journalismus und Aktivismus bewegen.

Mehr Einblicke in die Werkserie Tools for Conviviality von Anna Ehrenstein erhalten Sie vom 19. März bis zum 22. Mai 2022 in der Biennale-Ausstellung Collective Minds im PORT25 – Raum für Gegenwartskunst.

Misha Vallejo Prut, Secret Sarayaku, 2021

Die Fotografie des Künstlers Misha Vallejo Prut zeigt ein Porträt von Imelda Gualinga

Misha Vallejo Prut, aus der Serie Secret Sarayaku, 2021 | Foto: © Lys Y. Seng


Hier können Sie ein Gespräch zwischen Misha Vallejo Prut und Iris Sikking, Kuratorin der Biennale 2022, anschauen. Die Unterhaltung wurde während des Aufbaus der Biennale 2022 in der Kunsthalle Mannheim aufgezeichnet (auf Englisch, mit spanischen Untertiteln).



Seit 2015 dokumentiert der Fotograf Misha Vallejo Prut das Leben im Dorf Sarayaku, das im Amazonas-Regenwald von Ecuador liegt. Die Menschen dort gehören zum Volk der Kichwa und leisten seit Jahrzehnten Widerstand gegen die Förderung von Erdöl in ihrem Stammesgebiet, die mit Umweltzerstörung und Landenteignung einhergeht. Die Fotoserie Secret Sarayaku zeigt den Alltag der Menschen vor Ort, in dem sich naturverbundenes Leben und traditionelles Wissen mit Cyberaktivismus verbindet. Über die Sozialen Medien machen die Kichwa ihren Kampf für den Erhalt ihres Lebensraums weltweit sichtbar. Gleichzeitig verbreiten die Einwohner*innen von Sarayaku so ihr uraltes Verständnis vom Leben im Einklang mit der Natur und verbinden sich mit Umweltschutzaktivist*innen in aller Welt.

Glaube an den "Lebendigen Wald"
Da die Bewohner*innen von Sarayaku den Dschungel wie die gesamte Erde als komplexen Organismus begreifen, in dem alles mit allem verbunden und voneinander abhängig ist, entnehmen die Bewohner*innen dem Regenwald nur so viel, wie sie zum Überleben brauchen. Die Menschen aus Sarayaku glauben an den „Lebendigen Wald“. Demnach ist der sie umgebende Regenwald eine miteinander verbundene und mit Rechten ausgestattete Einheit, in der alle Elemente einen Geist haben. Um den Reichtum dieser Weltanschauung und die Philosophie der Bewohner*innen von Sarayaku erfassen zu können, hat Misha Vallejo Prut auch Video- und Audiomaterial aufgenommen, das er auf einer interaktiven Website aufbereitet hat.

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Die Installation ist Teil der Biennale für aktuelle Fotografie 2022. Unter dem Titel From Where I Stand hat die Kuratorin Iris Sikking fotografische Positionen von 40 internationalen Fotograf*innen und -kollektiven ausgewählt, die sich zwischen Kunst, Journalismus und Aktivismus bewegen.

Mehr Einblicke in die Werkserie Secret Sarayaku von Misha Vallejo Prut erhalten Sie vom 19. März bis zum 22. Mai 2022 in der Biennale-Ausstellung Contested Landscapes in der Kunsthalle Mannheim.

Hier geht es zu den Instagram-Accounts von everydaysarayaku und mishavallejo.

Eline Benjaminsen, Footprints in the Valley, 2020-fortlaufend

Die Fotografie der Künstlerin Eline Benjaminsen zeigt die Rinde eines Baums aus dem Wald von Embobut in Kenia

Eline Benjaminsen, aus der Serie Footprints in the Valley, 2020-fortlaufend | Foto: © Lys Y. Seng

In dem Projekt Footprints in the Valley untersucht die Fotografin Eline Benjaminsen die Mechanismen und Zusammenhänge des globalen CO2-Emissionshandels. Ausgehend von einem Zertifikat über die Pflanzung eines Baums, das sie für eine Kompensationszahlung einer Flugreise erhalten hatte, fragte sie sich: Wer pflanzt diese Bäume? Unter welchen Umständen, wo und auf wessen Land? Mit welcher Berechtigung?

Globale Auswirkung auf lokale Umwelt
Ihre Recherchen führten sie 2020 nach Kenia in den Embobut-Wald. Von und mit diesem Wald leben die dort ansässigen indigenen Sengwer seit Jahrhunderten. Heute ist die Region versteckter Schauplatz eines Konflikts zwischen lokalen und globalen Interessen im Rahmen des weltweiten CO2-Emissionshandels. Nicht zuletzt um Klimaschutzziele zu erreichen, werden Flächen wie der Wald von Embobut unter Schutz gestellt und als CO2-Ausgleichsfläche genutzt. Für die einheimische Sengwer-Bevölkerung bedeutet dies, dass sie von dort, mitunter gewaltsam, vertrieben und ihre Menschen- und Landrechte massiv verletzt werden.

Benjaminsens Dokumentation über die Embobut-Region entstand in enger Zusammenarbeit mit Elias Kimayio. Er ist Mitglied der Sengwer-Community und Menschrechtsaktivist. Die Werkserie regt auf vielen Ebenen zu einer kritischen Reflexion von Nachhaltigkeits- und Kompensationsprogrammen zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden im Kontext von Kapitalismus, Imperialismus und Postkolonialismus an.

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Die Installation ist Teil der Biennale für aktuelle Fotografie 2022. Unter dem Titel From Where I Stand hat die Kuratorin Iris Sikking fotografische Positionen von 40 internationalen Fotograf*innen und -kollektiven ausgewählt, die sich zwischen Kunst, Journalismus und Aktivismus bewegen.

Mehr Einblicke in die Werkserie Footprints in the Valley von Eline Benjaminsen erhalten Sie vom 19. März bis zum 22. Mai 2022 in der Biennale-Ausstellung Changing Ecosystems im Heidelberger Kunstverein.